G. Zeilinger: Lebensformen im Krieg

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Titel
Lebensformen im Krieg. Eine Alltags- und Erfahrungsgeschichte des süddeutschen Städtekriegs 1449/50


Autor(en)
Zeilinger, Gabriel
Reihe
VSWG Beiheft 196
Erschienen
Stuttgart 2007: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
285 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Willem Huntebrinker, Historisches Museum Frankfurt am Main

Gabriel Zeilinger kommt in seiner Arbeit zum süddeutschen Städtekrieg 1449/50 der Aufforderung nach, bei der Betrachtung von Kriegsgeschichte vom Feldherrenhügel hinab zu steigen und stattdessen ‚bodennahe’ Aspekte des Krieges in den Blick zu nehmen. Er schreibt eine Alltags- und Erfahrungsgeschichte dieses Krieges und schließt sich damit der neueren Strömung der Militärgeschichte an, die den Krieg als ein kulturelles Phänomen und das Militär als ein soziales System untersuchen will.

Der süddeutsche Städtekrieg 1449/50 gilt der Forschung schon seit dem 19. Jahrhundert als Manifestation eines langen Machtkampfes zwischen reichsstädtischem Bürgertum und Adel. Der permanente Konflikt zwischen städtischen Ansprüchen auf soziale und politische Bedeutung einerseits und adliger Selbstbehauptung als führende gesellschaftliche Gruppe andererseits führte dieser Deutung nach schließlich zum Krieg. Zwar ist diese Sicht, wie auch Gabriel Zeilinger zeigt, sicherlich sehr eindimensional. Beim genaueren Hinsehen lagen die Kriegsgründe wohl vor allem im Streit zwischen der Reichsstadt Nürnberg und dem Markgrafen Albrecht Achilles um einzelne Besitz- und Herrschaftsrechte. Dennoch standen sich beim Ausbruch des Krieges, aufgrund von Bündnis- und Klientelverpflichtungen, der schwäbisch-fränkische Städtebund und die Einung der „Fürstenpartei“ gegenüber. Beide Seiten postulierten selbst, in diesem Konflikt gehe es vor allem auch um einen Kampf zwischen reichsstädtischen und adligen Ansprüchen und Wertevorstellungen. Eine Intensivierung der Lagerbildung ist im Vorfeld des Krieges und während des Kriegsverlaufs unübersehbar. Insofern ist das Unterfangen Zeilingers, die Geschichte dieses Krieges als Anlass zu nehmen, um städtische und adlige Kriegsführungen und -wahrnehmungen vergleichend gegenüber zu stellen, durchaus überzeugend.

Der Ansatz der Arbeit, die Alltags- und Erfahrungsgeschichte unterschiedlicher sozialer Gruppen im Krieg zu betrachten, „soll als begriffliche und methodische Klammer dienen, um die herrschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekte des Lebens im Krieg und die Reaktionen der Menschen darauf aufzuspüren“ (S. 21). Der Vorteil einer solchen Vorgehensweise liegt sicherlich in dem flexiblen Zugang, der es erlaubt, viele Facetten des Krieges herauszuarbeiten. Jedoch bleibt es zugleich etwas unscharf, was hier mit Erfahrungsgeschichte gemeint ist. Das Begriffsverständnis von Erfahrung, wie es der Untersuchung zu Grunde liegt, wird zwar kurz definiert, aber kaum begründet (S. 22). Beim Lesen des Buches erschließt sich der Ansatz des Autors, eine stärker theoretisch fundierte Erörterung des verwendeten Erfahrungsbegriffs wäre für die Arbeit aber dennoch gewinnbringend, gerade weil er in anderen Forschungen zu Kriegserleben und Kriegswahrnehmung, wie dem Tübinger SFB 437 „Kriegserfahrung“, sehr prominent gemacht wird.

Die Quellengrundlage der Arbeit ist breit aufgestellt. Es werden Chroniken, Ratsprotokolle, Briefe sowie städtisches und adliges Verwaltungsschriftgut herangezogen, die eine Analyse der herrschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Krieges für die involvierten sozialen Gruppen erlauben. Für den vergleichenden Blick der Arbeit besonders wertvoll ist das „Kriegsarchiv Markgraf Albrecht Achilles“ aus dem Nürnberger Staatsarchiv. Die adlige Seite der Kriegsführung und -wahrnehmung wird somit wesentlich besser greifbar, als dies sonst oft der Fall ist, da die Überlieferungslage für die Städte, dank ihrer ausgebildeten Verwaltungsstrukturen und Schriftlichkeit sowie vor allem aufgrund ihrer ausgeprägten Tendenz zur Archivierung, meistens wesentlich besser ist als für den Adel. Da einige der wichtigsten Quellen im Anhang ediert sind, werden sie auch weiteren Forschungen in diesem Zusammenhang leicht zugänglich gemacht.

Der Aufbau der Untersuchung ist klar und zielführend gestaltet. Einer kurzen Einführung in die politik-, ereignis- und verfassungsgeschichtlichen Voraussetzungen des süddeutschen Städtekrieges folgen zwei Hauptteile. Der erste setzt sich mit dem „Alltag des Krieges“ auseinander. Er zeigt anhand von verschiedenen Aspekten, wie sich das Leben im Krieg und durch den Krieg (um)gestaltete. So wird etwa Fragen nach der organisatorischen Bewältigung des Krieges – Truppenaufstellung, Finanzierung, Ausstattung und Aufrüstung – nachgegangen und dabei immer der Blick darauf gerichtet, was dies für die beteiligten Entscheidungsträger der städtischen und adligen Führungsschicht, aber auch, soweit dies aus den Quellen herauszuarbeiten ist, für den Alltag der betroffenen Stadt- oder Landbevölkerung bedeutete. Ebenso werden lebensweltliche Auswirkungen des Krieges und der Kriegspolitik auf die Bevölkerung beschrieben, wenn etwa die Wahrnehmung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Nürnberg während der Präsenz von Söldnern und Kriegsgefangenen in der Stadt untersucht wird.

Besonders aufschlussreich ist Zeilingers Analyse der „räumlichen Dimension der Gewalt“, bei der er die Strategien der beiden Lager miteinander vergleicht und vor allem detailliert das Vorgehen der Kriegsparteien und die Auswirkungen auf die Betroffenen beschreibt. Zwar sind die dabei aufgezeigten Strategien, dem Gegner wirtschaftlich zu schaden, Räume mit symbolischer Bedeutung zu besetzen, Schlachten eher zu vermeiden sowie den täglichen Krieg mit Streifzügen zu bestreiten, der Forschung schon länger bekannt. Zeilinger gelingt es jedoch, die Handlungszusammenhänge, Logiken und Zielsetzungen solcher Aktionen anhand zahlreicher Beispiele detailliert aufzuzeigen. Somit ergibt sich ein eindrucksvolles Gesamtbild dessen, was die Kriegsführung für unterschiedliche beteiligte Gruppen konkret bedeutete. Logisch daran anschließend wird auch die Frage nach den Verlusten an Menschen und Gütern angegangen, da sie eng mit den Strategien und Techniken der Kriegsführung in Zusammenhang steht. Die Auswirkung des Krieges auf Handel und Kommunikation untersucht Zeilinger ebenfalls, was sich gut in seinen Ansatz einfügt. Aufmerksame Beobachtungen des Autors zeigen dabei die erheblichen Auswirkungen auf die alltägliche Herrschaftsausübung, so etwa wenn das Stadtgericht in Rothenburg ob der Tauber zeitweilig seine Tätigkeit einstellte oder das Ansteigen der Arbeitsbelastung der Nürnberger Ratsherren, vor allem die zu bewältigende Kommunikation mit den Verbündeten, zur Folge hatte, dass das Führen der Ratsbücher eingestellt wurde.

Der zweite Hauptteil nimmt einzelne soziale Gruppen und ihre Kriegserfahrung in den Blick. Ziel ist es herauszuarbeiten, wie sich die im ersten Hauptteil beschriebenen Rahmenbedingungen auswirkten. Hier wird vor allem darauf geschaut, wie Gruppenangehörige die Anforderungen des Krieges bewältigten sowie sich in bestimmten Handlungszusammenhängen verhalten und entschieden haben. Aus diesen Betrachtungen wird der Versuch unternommen, die Auswirkungen des Krieges auf die jeweilige „Lebensform“ der Gruppe zu beschreiben. Dabei werden in unterschiedlicher Intensität der landsässige und der städtische Adel, die Kaufleute und Handwerker, die städtischen Randgruppen, die Bauern, die Kleriker sowie Söldner und Gefangene als okkasionelle Gruppen untersucht. Für den landsässigen und städtischen Adel trat vor allem das Problem von Zugehörigkeit und Loyalität in den Vordergrund, da diese anscheinend bei starker Verstrickung in differenzierte feudale Bindungen nicht immer leicht zu entscheiden waren.

Die Frage nach den jeweiligen Erfahrungen der Gruppen im Krieg ist ohne Zweifel sehr spannend, und Zeilinger bietet einige plausible Erkenntnisse hierzu, sie kann aber nicht an allen Stellen befriedigend beantwortet werden. Der Autor betont es selbst immer wieder: Die Bauern und Söldner, die einfachen Leute kommen fast nie selbst zu Wort, sondern immer nur als Personen, über die berichtet wird. Das ist natürlich kein Grund, sie aus der Untersuchung auszuschließen, solange dieser Umstand stets reflektiert und in die Wahl der Untersuchungsmethoden einbezogen wird. Dennoch wundert es kaum, dass der Umfang des zweiten Hauptteils der Arbeit, schon alleine aufgrund eines Mangels an geeigneten Quellen, deutlich geringer ausfällt.

Die Arbeit leistet detaillierte und auch an vielen Stellen neue Einsichten in das spätmittelalterliche Kriegsgeschehen. Einiges, was der Forschung im Prinzip bereits bekannt war – wie die Strategien der Kriegsführung –, wird an konkreten Beispielen sehr differenziert beschrieben. Vertraute Erklärungsmuster werden somit überprüft und vor allem die Logiken und Zielsetzungen solcher Handlungszusammenhänge erhellt. Dem Autor gelingt es somit, eine seiner Thesen deutlich zu untermauern, dass sich nämlich die Begriffe Alltag und Krieg nicht widersprechen, dass der Krieg zwar etwas Außeralltägliches war, aber dennoch seinen eigenen Alltag ausbildete, seine eigenen Routinen und Gewohnheiten, an denen sich die Handelnden orientierten. Ein Gewinn der Arbeit besteht vor allem in der vergleichenden Betrachtung städtischer und adliger Kriegsführung und -bewältigung. Die herangezogenen Quellen für Stadt und Adel sind für diesen Vergleich durchaus gleichwertig, so dass diese Zielsetzung der Arbeit eingelöst wird.

Natürlich kann man kritisieren, dass das umfassende Ziel, eine Erfahrungsgeschichte aller Lebensformen, aller sozialen Gruppen im süddeutschen Städtekrieg zu schreiben, nicht vollständig gelungen ist. Es liegt auf der Hand, dass dieser Versuch für die Masse der Stadt- und Landbevölkerung unter ganz anderen Voraussetzungen steht als für die führenden Köpfe der Ratsgremien oder der Adelspartei. Der Autor nähert sich dem Versuch, auch die Erfahrungswelten der ‚einfachen Leute’ einzubeziehen, dennoch geschickt mit einer multiperspektivischen Lektüre seiner Quellen und dem reflektierten Bewusstsein der Grenzen dieses Unterfangens. Ob es nicht ratsam gewesen wäre, wenn dieses Bewusstsein von vornherein stärkere Auswirkungen auf Fragestellung und Aufbau der Arbeit gehabt hätte, sei dahingestellt. Wer sich für eine detaillierte Analyse spätmittelalterlicher Kriegsführung und deren gesellschaftliche Auswirkungen in Stadt und Land anhand des aussagekräftigen Beispiels des süddeutschen Städtekriegs 1449/50 interessiert, der wird das vorliegende Buch jedenfalls mit Gewinn lesen.

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